Zeitungsbericht

St.Galler Tagblatt- 20. November 2009

 

 

St.Gallen: 20. November 2009, 01:04

Ein Knall zum Abschied

 

Mehr als 30 Jahre lang hat Urban Schönenberger zukünftigen Lehrern Chemie nähergebracht – und beim Experimentieren Parallelen zur Bildungspolitik entdeckt.

Stefanie Schnelli

St. Gallen. Ohrstöpsel tragen ist normalerweise unanständig, wenn die Pädagogische Hochschule St. Gallen zu einer Veranstaltung lädt. Ist aber Urban Schönenberger der Referent, wird die Vorsichtsmassnahme den Gästen sogar nahegelegt. Die Besucher, die an seine öffentliche Abschiedsveranstaltung ins Schulhaus Hadwig kommen, werden vor dem Eingang in die Aula mit Gehörschützern ausgestattet.

Schönenberger will die 34 Jahre, während denen er als Chemiedozent an der PHSG tätig war, mit einem Paukenschlag beenden. Oder, in seinem Fall, mit ein, zwei lauten Knallern. Die Lieblingsbeschäftigung des Chemikers sind Experimente.

Ein Trick für Lehrerinnen

«Dabei ist Chemie viel mehr, als wenn es knallt und stinkt», eröffnet Schönenberger die Veranstaltung. Er steht, noch in Hemd und Krawatte, vor einer eindrücklichen Bühnenkonstruktion. Ein richtiges Labor wurde aufgebaut. Reagenzgläser, Bunsenbrenner und eigenartige Röhrchenkonstruktionen stehen dort bereit. «Kein Tag ohne Chemie», sagt Schönenberger und zählt auf: Sonnenschutz, Waschmittel, Medikamente. Leider tauche sie aber in den Schlagzeilen fast immer in negativem Zusammenhang auf: Giftskandale, Umweltkatastrophen, Vergiftungen. Obwohl die Chemie meist gar nicht schuld sei: «Wenn zwei Tanklastwagen zusammenstossen und Öl ausläuft, ist das streng genommen Physik.» Einen Moment hält er inne, sieht mit seinen wachen Augen ins Publikum. Dann zieht er einen weissen Mantel an und sorgt für den ersten Knall.

Knallgas, in der Hand angerührt. «Eine eindrückliche Nummer. Auch für Lehrerinnen, die ihren pubertierenden Jungs ab und zu Respekt einflössen müssen», sagt Schönenberger. Frauen würden sich oft vom Experimenten distanzieren. Weil der Frauenanteil unter den Lehrern hoch sei, kommen die Schüler in dieser Hinsicht zu kurz. «In jeder naturwissenschaftlichen Stunde sollte mindestens ein Experiment durchgeführt werden – in jeder Altersstufe.» Er weiss um den Effekt von Experimenten. An diesem Abend nutzt er sie zur Veranschaulichung und als Denkanstoss für Bildungspolitik.

Schönenberger baut einen Salz- turm, allein durch eine chemische Reaktion. «Wir brauchen in der Schweiz mehr Naturwissenschafter», folgt die Erklärung. «Die Lehrer müssen die Schüler dafür begeistern. Ein Mittel dazu sind Experimente», sagt er. Lehrer müssten Vorbilder sein, in allen Belangen. Den aktuellen Lehrermangel hingegen sieht er gelassen und zeigt an einem mit Flüssigkeit gefüllten Glas, warum: «Das sind Wellenbewegungen, die von verschiedenen, sich ändernden Parametern abhängen.»

Feuer und Mehlstaub-Explosion

Schönenberger lässt Seifenblasen aufeinander wachsen, um sie als Stichflamme zu zerstören, jagt Plastikteile durch die Luft, produziert Mehlstaub-Explosionen und spricht über das nötige Fachwissen, das nur in solider Ausbildung erlernt werden könne, über den zu kleinen Männeranteil im Lehrerberuf und Reformen, die viel Staub aufwirbeln. Es brodelt und dampft und brennt in der Aula. Die Ohrstöpsel werden gebraucht.

Dort, wo die Stöpsel am Anfang verteilt wurden, liegen beim Hinausgehen selbstgebackene Guezli. «Auch Kochen – Chemie», sagt Schönenberger zum Abschluss. Jetzt, im Ruhestand, will er mehr Zeit im Labor Küche verbringen.

 

Ostschweiz: 20. November 2009, 01:04
PERSON

Urban Schönenberger

 

Nach dem Chemiestudium an der Universität Zürich stieg Urban Schönenberger in den Lehrerberuf ein. Er war an der Kantonsschule Burggraben in St. Gallen als Lehrer tätig, später auch als Abteilungsvorstand und Prorektor. Seit

1975 bildet er als Dozent für

Chemie Oberstufenlehrpersonen im Kanton St. Gallen aus. Zudem leitet der St. Galler verschiedene Experimentierkurse und ist beteiligt an den Kursen «Gefahrstoffe im Unterricht» sowie von mobiLLab-Kursen. Jetzt, mit 65, geht er in Pension. (sts)